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Über Indymedia sind wir darauf aufmerksam geworden, dass in Berlin umgebastelte Werbeplakate hängen, die Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine fordern. Da Indymedia immer mal wieder down ist und wir die Aktion sehr schön finden, spiegeln wir das ganze einmal hier. Es folgt der Text der Aktionsgruppe „Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen jetzt!“ (AfKj!).
„Mit dem Werbe-Plakat stimmt doch was nicht?“ Das dachten sicher sich heute auch Passan*tinnen, die durch Berlins Mitte flanierten. Denn die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen jetzt!“ (AfKj!) kaperte unerlaubt fast 20 Werbeplakate zwischen Treptower Park, Alexanderplatz und Tiergarten. Die aktuell hängenden Werbeplakate für Eiscreme, Zeitschriften, einen Freizeitpark, Berliner Verkehrsbetriebe, Duschgel oder Kleidung veränderte die Gruppe „AfKj!“ mit Schere, Papier oder Farbe so, dass die abgebildeten Personen und Motive jetzt dafür werben, Kriegsdienstverweigerer*innen aus Russland, der Ukraine und Belarus einfacher Asyl zu gewähren. „Die meisten Werbemotive sind derart platt, dass man sie sich einfach mit einer anderen Forderung wie Recht auf Asyl für Kriegsdienstgegner*innen aneignen kann!“ sagt Roderich Supersonnenwetter, Sprecher*in der Aktionsgruppe „Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen jetzt!“ (AfKj!). Außerdem findet sich auf allen Plakaten ein Link und ein QR-Code, der zur Homepage der Kriegsdienstverweigerungsorganisation Connection e. V. führt.
Diktatoren eiskalt erwischen
Genau vor der Belarussischen Botschaft fordert ein umgebasteltes Werbeplakat für die Winterkollektion eines Fast-Fashion-Konzerns mit der Abbildung einer im Schnee stehenden Person „Give dictators the chills“ (Übers. „Bringt Diktatoren zum Zittern“) Wie das gehen soll, steht auch in großen Buchstaben auf dem Poster: „Support Russian and Belarusian war resisters!“ (Übers. „Unterstützt russische und belarussische Kriegsgegner*innen!“).
Putins Krieg sabotieren
Statt Werbung für eine Zeitschrift zu machen, fragt am Brandenburger Tor die abgeBILDete Prominente nach dem Poster-Hack: „Putins Krieg sabotieren?“. Ihre Antwort: „Mit Asyl für Kriegsdienstverweigerer*innen!“
Trauma statt Duschgel
Eine Werbung für Duschgel kaperte AfKj! Ebenfalls. Statt die Vorteile einer bestimmten Seife anzupreisen lautet der Poster-Text nun: „Trauma kannst Du nicht abwaschen. Asyl für Kriegsdienstgegner*innen!“
Traktoren klauen Panzer
Vor der russischen Botschaft zeigt die Werbung für einen Erdbeer-Freizeitpark eine Frau mit Kindern auf einem Traktor. Die Kommunikationsguerilla stattete mittels Farbe den Traktor mit ukrainischen Flaggen aus. Die Personen auf dem Traktor sagen ergänzend zur politischen Forderung nach Asyl für Kriegsdienstverweigerer*innen: „We stole Putin’s tanks, you should take the soldiers!“ (Übers.: „Wir stehlen Putins Panzer, übernehmt ihr die Soldat*innen!“).
Stoppt die zweite Front!
Ein Plakat, das ein angebissenes Eis zeigt, wirbt jetzt für Asyl für belarussische Kriegsdienstverweiger*innen: „Taking a bite out of the Belarusian army. Asylum for conscientious objectors stops the second front!“ (Übers.: Beiß ein Stück aus der belarussischen Armee! Asyl für Kriegsdienstverweigerer stoppt die zweite Front).
Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen in Deutschland
Es gibt noch ganz viele Motive mehr, aber weil der Text sonst zu lang wird, müsst ihr euch die selber anschauen. Auf allen Plakaten findet sich außerdem ein Link und ein QR-Code, der zur Homepage der Kriegsdienstverweigerungsorganisation Connection e. V. führt.
Connection e. V. setzt sich seit 1993 für die Rechte von Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus aller Welt ein. Die Forderung, dass Kriegsdienstverweiger*innen in Deutschland Asyl bekommen müssen, war dabei immer ein Kernpunkt des Vereins, der auch praktisch Menschen bei Asylanträgen unterstützt. Mit der #ObjectWarCampaign forderte Connection e. V. gemeinsam mit dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, dem Internationalen Versöhnungsbund und War Resisters‘ International die Europäische Union dazu auf, Kriegsdienstverweiger*innen aus Belarus und Russland in der EU Asyl zu gewähren. Eine Petition mit diesem Anliegen erreichte beinahe 50.000 Unterschriften.
Kriegsdienstverweigerung in Russland
Die „Bewegung der Kriegsdienstverweiger*innen in Russland“ („Movement of Conscientious Objectors to military service in Russia“, MCO) ist eine Organisation, die seit 2014 Russ*innen dabei unterstützt, den Kriegsdienst zu verweigern. Sie berät unter anderem auf YouTube und Telegram zu den Möglichkeiten, sich dem Kriegsdienst zu entziehen und liefert potenziellen Verweiger*innen damit wertvolle Erfahrungsschätze.
Kriegsdienstverweigerung in Belarus
Die Belarussische Regierung hat die Vollinvasion der Ukraine durch Russland von Anfang an unterstützt. Deshalb ist weiterhin zu befürchten, dass das belarussische Militär mit einer zweiten Front die Ukraine angreifen könnte. Daher hat die belarussische Menschenrechtsorganisation „Nash Dom“ (dt. „Unser Haus“) 2020 die Kampagne „No means No: Stop the 2nd Front“ gestartet.
In der Kampagne macht die Organisation darauf aufmerksam, dass es auch in Belarus ein verfassungsrechtlich verankertes Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Dies war dort den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst, denn die Praxis sieht ganz anders aus: Wer sich weigert, Soldat*in zu sein, kommt ins Gefängnis und wird womöglich Opfer von Folter und Schikane. Nash Dom setzt sich dafür für Humanitäre Korridore nach Polen und Litauen ein und unterstützt Kriegsgegner*innen bei der Flucht in diese Nachbarländer von Belarus.
Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht
Um das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ist es auch in der Ukraine seit dem Beginn der russischen Aggression 2014 schlecht bestellt. Auch wenn die Lage für die Ukraine gerade sehr schwer ist, sollte die Regierung die Menschenrechte wahren. Das gilt gerade im Krieg, denn die westliche Unterstützung für den Kampf der Ukraine hängt auch daran, dass hier eine durch zwei Aufstände erkämpfte leider immer noch defekte Demokratie in Nöten gegen lupenreine Diktaturen kämpft.
Die Entscheidung, nicht in der russischen Diktatur leben und gegen die Invasion kämpfen zu wollen, ist eine legitime Entscheidung der Menschen in der Ukraine. „Wir haben das Privileg, entscheiden zu können, ob wir diesen Kampf militärisch oder gewaltfrei unterstützen“ sagt Roderich Supersonnscheinwetter. Glaubhaft werden unsere Vorschläge nur sein, wenn wir es schaffen ernsthafte Alternativen zu militärischen Optionen zu entwickeln. Wir müssen praktisch zeigen, wie man gewaltfrei Druck auf die russische Regierung ausüben kann, den Krieg endlich zu beendet. Leider ist die Friedensbewegung davon noch Lichtjahre entfernt.
Gewaltfreie Alternativen zum Krieg?
In der Friedensbewegung fordern viele lautstark einen Stopp von Waffenlieferungen an die angegriffene und gegen die Besatzung kämpfende Ukraine. Wie wir aber stattdessen gewaltfrei Druck auf die russische Regierung aufbauen können, den verbrecherischen Angriffskrieg zu beenden und ihre Armeen endlich aus der Ukraine abzuziehen, beantworten sie nicht. „Der Krieg ist jetzt schon über anderthalb Jahre heiß und aus der Friedensbewegung gibt es immer noch keine einzige Kampagne, die irgendwie glaubhafte Alternativen zu militärischer Gewalt aufzeigen würde“ sagt Roderich Supersonnenwetter: „Die Oligarchenvillen haben wir immer noch nicht besetzt, die Putin-Propagandist*innen bekommen immer noch kaum Widerspruch aus der Friedensbewegung, wir boykottieren trotz unserer deutschen Geschichte munter Israel, lassen aber die Blockadebrecher*innen, die immer noch skrupellos am russischen Krieg mitverdienen, bis auf ganz wenige Ausnahmen in Ruhe!“
Beispiele?
Mit gutem Willen (ausbaufähige) Beispiele für coole Projekte aus der Friedensbewegung, die wenigstens andeuten, was gehen könnte:
- Die NGO Urgewald zwang die fossile Dreckschleuder Wintershall, aus der Produktion von Treibstoff für russische Bomber und Raketen auszusteigen
- Der Verein Connection e.V. sammelt über 50.000 Unterschriften für Asyl für Kriegsdienstverweigerer
- Der Bund für Soziale Verteidigung versucht, Modellregionen zu schaffen, die sich gewaltfrei verteidigen wollen