IMK in Berlin: Gefälschte Polizeiplakate kritisieren Rassismus

Große Aufregung heute bei der Berliner Polizei: Eine Kommunikationsguerilla kaperte in der Nacht über 100 Werbevitrinen in U- und S-Bahn-Stationen der Hauptstadt. In den gekaperten Werbevitrinen platzierten die Aktivist*innen täuschend echt aussehende Plakate im „110%“-Design der Berliner Polizei. Doch auf den Postern steht keine positive Werbung. Stattdessen thematisieren die Poster auf ironische Weise Polizeigewalt, Rassismus und Abschiebungen. „Anlässlich der heute startenden Innenminister*innenkonferenz rücken wir mit unseren gefälschten Plakaten die Arbeit der Polizei ins angemessen rechte Licht“, sagt Sam A. Hax, Sprecher*in der für die Aktion verantwortlichen Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)“: „Denn trotz der offensichtlichen Gefahr, die vom #Polizeiproblem für viele unserer Mitmenschen ausgeht, werden die Innenminister*innen auf ihrer Konferenz wieder Polizeigewalt und Rassismus schönreden!“

Bilder von der Aktion finden Sie hier:

POZILEI statt Polizei
Getarnt mit Arbeitskleidung und Warnwesten schlichen die Teams der Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)“ in den Morgenstunden unerkannt durch den Nahverkehr. In unbeobachteten Momenten öffneten sie mit Rohrsteckschlüsseln aus dem Baumarkt heimlich Werbevitrinen, um die täuschend echt aussehenden Plakate unerlaubt zu platzieren. Ein Unterschied zur echten Designvorlage: Statt der Wortmarke „Polizei“ steht „POZILEI“ auf den Plakaten. Diese Aktionsform, bei der Werbung durch kleine Veränderungen für Politik instrumentatlisiert wird, nennt sich „Adbusting“.

Bei der heutigen Aktion dürfte sich um die größte Adbusting-Aktion Berlins in den letzten beiden Jahrzenten gehandelt haben. „Von einigen Passant*innen gab es sogar Zustimmung, als sie das Wortspiel POZILEI durchschauten“ berichtet Sam A. Hax von der Gruppe GdP. Die Polizei fand die Aktion hingegen nicht so lustig. Sie reagierte mit Sofortfahndungen im S-Bahnverkehr und ließ ihre Beamt*innen bereits in der Nacht gekaperte Werbevitrinen wieder öffnen und entfernte Plakate. „In den Morgenstunden hingen noch etwa 50 Plakate“ berichte Sam A. Hax.

Vier verschiedene Motive
Die Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)“ erstellte vier verschiedene Motive, um anlässlich der IMK die Polizei wegen Rassismus und Abschiebungen zu kritisieren. Ein Plakat zeigt eine*n Polizist*in, schwer beladen mit Dönern zu den Wagen der Kolleg*innen stapfend. Der Text dazu lautet: „Rassismus? Wir mögen doch manche Ausländer! 110% Weißbrot.“ In kleineren Buchstaben folgt unter dem Bild: „Abschiebungen, Rassismus und Gewalt sind Dein Ding? Jetzt bewerben!“ Dazu findet sich ein Link und ein QR-Code zur Kampagnenseite.

Die weiteren Poster sind ähnlich aufgebaut. Ein Poster zeigt eine Horde Bereitschaftspolizist*innen beim Einrammen einer Tür. Der Slogan lautet: „Abschiebung ins Kriegsgebiet? Gerne. 110% Gewalt.“

Das Bild einer nett in die Kamera lächelnden Polizist*in im Büro am Schreibtisch kombinierte die Gruppe mit dem Slogan: „Rassismus? Schieben wir ab. 110% Tschüss.“

Außerdem veröffentlichte die Gruppe das Bild eines Aktenschredders mit dem Slogan: „Unsere Aufarbeitung von Rassismus. 110% nicht.“

Polizei-Studie belegt Rassismus-Problem
Dass es bei der Polizei wirklich so schlimm ist, zeigt auch ein tieferer Blick in die aktuell durchgeführte „MEGAVO“-Polizeistudie.

Die Studie ist vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben und wird von der „Deutschen Hochschule der Polizei“ durchgeführt. Problem: Die Polizei untersucht die Polizei. Selbst der Kriminologe Tobias Singelstein, Uni Frankfurt am Main, kritisiert im Tagesschau-Interview methodische Mängel an der Studie. Unter anderem beanstandet er den fehlenden Fokus der Studie, die sich neben der Untersuchung der politischen Meinungen von Polizist*innen vor allem mit deren Belastung im Berufsalltag fokussiert: „Es ist nicht die Rassismus-Studie, die gefordert wurde. Deshalb kann die Studie nur ein kleiner Beitrag sein, wenn wir uns mit dem Rassismus in der Polizei beschäftigen wollen“, so Tobias Singelstein.

Schockierende Ergebnisse
Trotzdem sind die Zwischenergebnisse der Studie im Kleingedruckten schockierend: 29% der befragten Beamt*innen antworten explizit abwertend gegenüber asylsuchenden Menschen, 41% verhalten sich „ambivalent“ und gerade mal 30% sind in der Lage, den absoluten Mindeststandard angemessener Polizeiarbeit zu erfüllen und sich nicht abwertend gegenüber asylsuchenden Menschen zu äußern (S. 62). „An diesen Umfrageergebnissen erkennt man, dass Polizist*innen eben nicht für die Verteidigung von Menschenrechten da sind. Stattdessen führt die Polizei für den Staat regelmäßig illegale Abschiebungen durch. Kein Wunder also, dass sich Polizist*innen abwertend gegenüber asylsuchenden Menschen äußern“, findet Sam. A. Hax.

Ein weiteres Zwischenergebnis der Studie: 16% der Beamt*innen sagen, ihnen sei in den letzten 12 Monaten Rassismus vorgeworfen worden. In über 70% der Fälle finden die Beamt*innen den Vorwurf selbstverständlich „überhaupt nicht nachvollziehbar“ (S.67) „Das zeigt, wie es um die Kritikfähigkeit und Sensibilisierung unserer staatlich bezahlten Gewalttäter*innen steht“, sagt Sam A. Hax: „Genau das ist der Kern des #Polizeiproblems! Doch statt dieses Problem anzugehen, wird die IMK auch dieses Jahr wieder rassistischer Polizei-Praktiken beschließen als ohnehin schon!“

Polizei ist hilflos?
An der Aktion besonders ärgern dürfte die Polizei, dass sie gegen den Protest mit Werbeplakaten nichts tun kann. In den vergangenen Jahren gingen die Berliner Repressionsbehörden mit Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen und Meldungen ans Terrorabwehrzentrum GETZ gegen „illegal“ in Werbevitrinen „eingewanderte“ Poster vor. Doch egal welchen juristischen Vorwurf die Polizei sich ausdachte: Ob Diebstahl, Schwerer Diebstahl, Sachbeschädigung, Verstoß gegen das Urheber*innenrecht, Verstoß gegen die Impressumspflicht, Verunglimpfung, Beleidigung, Störpropaganda gegen die Bundeswehr oder Erschleichen von Leistungen – die Staatsanwaltschaft entschied: Es ist nicht strafbar, wenn man eigene Poster in Werbevitrinen hängt.

Der Pressesprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, entrüstete sich bereits 2020: „Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.“ Sam A. Hax dazu: „Mit seinem Tweet zeigte Jendro vor allem, wie wenig Ahnung man von Gesetzen haben muss, um Sprecher*in einer Polizeigewerkschaft zu sein. Denn die Nutzung von Designelementen echter Polizeiwerbung zu Zwecken der Satire ist von der Kunstfreiheit gedeckt.“

Polizei stoppt City-Light-Werbung
Aufgrund des ausbleibenden Kriminalisierungserfolges griff die Berliner Polizei einfach zu anderen Mitteln gegen Adbusting. Die Behörde stoppte 2020 die Werbung mit City-Lights im Nahverkehr. Stattdessen steckte die Polizei ihren Werbeetat in Werbung im Internet und in Großwerbeflächen an wenigen gut bewachten und schwer erreichbaren Plätzen.

Was tun?
Wer Kritik an der Polizei wegen Rassismus und Abschiebungen gut findet,möge bitte die Kundgebung „#NoRacistPolicies“ anlässlich der IMK von Jugend ohne Grenzen vor dem Kanzler*innenamt am Donnerstag, den 15. Juni 2023 um 17.30 Uhr unterstützen:

Mehr Infos zur Kundgebung #NoRacistPolicies gegen die IMK von Jugend ohne Grenzen: https://www.imk-protest.de/

Mehr Infos und Bilder zur Adusting-Aktion gegen die IMK: deutschepozilei.wordpress.com