„We love Tegel – Denn hier traut sich die Bundeswehr nicht her!“ Das verkündeten am Freitag morgen fast 30 Citiy-Light-Plakate im erzkonservativen Berlin-Tegel. Die Stadtteil-Initiative „We love Tegel e. V.“ hat sich unerlaubt Werbevitrinen ausgeliehen und sie mit Rohrsteckschlüsseln (Sechskant 8-9mm) aus dem Baumarkt geöffnet, um dort eigene Plakate zu platzieren. „Adbusting“ nennt sich dieser minimalinvasive Vandalismus. „Mit der Kunst-Aktion wollen wir feiern, dass sich die Bundeswehr nicht mehr nach Tegel traut, sondern sich zum Tag der Bundeswehr lieber im Wedding in der Kaserne versteckt!“ sagt Felix Wunderschönebeck, Sprecher*in der Gruppe „We love Tegel e. V.“: „So wollen wir Tegel wieder ein Stück schöner und lebenswerter machen.“
Dunkle Mächte in Tegel
Felix Wunderschönebeck kommt mit dem Rad zur Greenwichpromenade, eine Vorzeigeadresse im Berliner Norden. Der 31-Jährige, frisch verheiratet, aus dem Ortsteil Tegel, hat im Laufe der Jahre festgestellt, dass man mit kleinen Aktionen etwas erreichen kann. Deshalb hat er die Initiative „We love Tegel e. V.“ gegründet. „Besonders wichtig ist mir der öffentliche Raum. Die zunehmende Militarisierung ist ein großes Problem, dem wir uns stärker entgegenstellen müssen“, sagt Felix Wunderschönebeck.
Hüpfburg und Kinderschminken bei den Militärs
Nicht zu Unrecht. Denn 2020 und 2021 planten Bundeswehr und Bezirksamt, das an der Greenwichpromenade stattfindende Ehrenamtsfest militärisch zu übernehmen. Wunderschönebeck holt eine Zeitung aus der Tasche und zeigt es: „Wir dürfen ein ganzes Wochenende lang in Berlin die Bundeswehr präsentieren“, freute sich damals der für die Propaganda-Feierlichkeiten verantwortliche Drei- Sterne-General Henne. Der zu dieser Zeit amtierende Bürgermeister von Reinickendorf und heutiger Law-and-Order-Scharfmacher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank Balzer, jubelte: „Der Bezirk Reinickendorf will damit auch dokumentieren, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen ist.“ Für diese Propaganda-Show machte Balzer auch vor Kindern nicht halt: „Natürlich werden auch die Kinder unterhalten werden“ sagte Balzer und kündigte Hüpfburg, Puppentheater und Schminkecke an. Angst vor Protesten hatte man offensichtlich nicht.
Selbst ist die Tegeler*in
Als Wunderschönebeck von den fiesen Plänen des Generals und der Bürgermeisters erfuhr, wollte er das nicht so stehen lassen. „Selbst anpacken, statt sich zu beschweren“: Das ist das Motto von We love Tegel. Wunderschönebeck und andere Antimilitarist*innen nutzten die pandemiebedingte Absage des Tags der Bundeswehr 2020, um mit einer eigenen Absage und einem anschließenden Dementi den Diskurs zu übernehmen. „Ehrenamtlich, versteht sich.“
Gefälschte Bürgermeisterschreiben
Dem damaligen Bürgermeister Balzer legten sie in den Mund, er sei wegen der Seuche zur Besinnung gekommen, habe die Propaganda-Show abgesagt und fordere, das Geld aus dem Wehretat in den Gesundheitssektor zu stecken. Das echte Bezirksamt dementierte in einer Pressemitteilung das Schreiben und lobte die „vielfältige Unterstützung, die die Bundeswehr bei zeremoniellen Anlässen wie unseren diversen Kranzniederlegungen leistet.“ Doch auch das anschließend als Flugblatt verteilte Dementi war gefälscht. Es enthielt vor allem überspitze entlarvende Original-Zitate.
Falsche Kriegsministerin ruft zu Adbusting auf
Auch 2021 lief es für die Bundis mit dem Tag der Bundeswehr nicht gut. Bereits im Vorfeld hingen rund ums Kriegsministerium veränderte Bundeswehr-Poster unerlaubt in Werbevitrinen. Auf diesen konnte man „Retten statt Rüstung“ lesen. Zu allem Überfluss verteilten Unbekannte außerdem ein Flugblatt, in dem sich Kriegsminister*in Annegret Krupp-Knarrenbauer dialogbereit zeigt („Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“) und dazu auffordert, weitere Bundeswehr-Poster kritisch zu ergänzen.
Bundesweit gefälschte Militärposter
Am Tag der Bundeswehr 2021 erreichte eine bundesweite Aktionsserie mit gefälschten Postern im Bundeswehr-Design hunderttausende in den Innenstädten, den Sozialen Medien und in der Berichterstattung in Zeitungen. Die beteiligten Aktionskollektive feierten allesamt Reichweiten-Rekorde während die Militärs lediglich 5000 Hardcore-Fans und einige Friedensaktivist*innen auf Youtube bespaßte.
Auch mit kleinen Aktionen kann man was erreichen
Ein langer Atem – und Vorbild für „We love Tegel“. Felix Wunderschönebeck freut sich besonders darüber, dass die kreativen Protestaktionen nicht spurlos an den Militärs vorüber gingen und die Initiative mit ihren Ideen bei vielen Verantwortlichen ein offenes Ohr fand. „Offensichtlich kam es zu einer Neubewertung des drohenden Risikos durch antimilitaristische Proteste.“ Deswegen feierte die Gruppe die Flucht der Militärs in die Kaserne im Wedding mit einer Adbusting-Aktion: „Ich habe mir gesagt, wir gehen raus und sorgen dafür, dass der Ort vor unserer Haustür schöner wird und wir haben uns die Werbevitrinen vorgeknöpft. Mit etwas Glück gibt es ja auch zum Tag der Bundeswehr 2022 wieder viele widerständige und kreative Aktionen.“
Wie öffnet man Werbevitrinen? So!
Mehr Infos zum Tag der Bundeswehr und zum Protest dagegen gibt es unter https://keintagderbundeswehr.dfg-vk.de/.